MEMORY FOAM

CHARLOTTE KLOBASSA
12 DEC 2020 - 12 FEB 2021

 
 

Die Erinnerung wird durch eine konstruktive Visualisierung der Vergangenheit geprägt, und was wir uns erinnern, hängt von unseren individuellen Emotionen und Interessen ab. Es gibt keine Speicherkarte wie in einem Computersystem, von der aus gespeicherte Momente leicht abgerufen (oder reproduziert) werden können. Alles, was in unser System gelangt, ist einem ständigen Wandel unterworfen. Ähnlich wie Wasser fließen Daten durch unseren Geist, setzen sich an einigen Stellen fest und verdunsten an anderen.

Kann ich mich wirklich daran erinnern, wie es sich anfühlte, während der ersten Sperrung vor einigen Monaten auf diesem Sofa zu hocken? Welcher Tag war das? Wie viele Minuten oder Stunden habe ich an diesem Ort geruht? Sogar das Gefühl, eingesperrt zu sein, und der Geruch der Landschaft, der sich festsetzte - ist es meine eigene Erinnerung, oder ist es tatsächlich die eines anderen, die mir haften bleibt? Nicht immer gehört uns das, was in Erinnerung bleibt, und was gespeichert wird, ist keine bewusste Entscheidung. Der Schaum unserer Erinnerung spült sanft durch gelebte und nicht gelebte Erfahrungen, wie ein schmaler Bach, der aus unseren eigenen Geschichten besteht und aus denen, die uns erzählt wurden.  

„Memory Foam", Charlotte Klobassassa's zweite Einzelausstellung bei Zeller van Almsick, beschäftigt sich mit der durchlässigen Polyphonie der Erinnerung durch den Prozess des Malens. Den Leinwänden der Künstlerin geht eine Untersuchung unbewusster Markierungen und Gesten in ihrem räumlichen und sozialen Umfeld voraus, die sie in einem Prozess der Aneignung in ihre abstrakten Bilder einbezieht. Kritzeleien von Unbekanntem in Schreibwarenläden, Details von Situationen oder die Charakteristika einer Person werden aus ihrer ursprünglichen Umgebung herausgelöst und in ihre subtilen Ölbilder eingeschrieben, die unseren Erinnerungen nicht unähnlich sind. Mit ihren sanften Pinselstrichen rekonstruiert Klobassa die Relikte dieser Begegnungen präzise und verwischt dabei nicht nur die Grenze zwischen dem, was ihr gehört, und dem, was von anderen geliehen wird, sondern rückt auch die Konstruktivität der Erinnerung als solche in den Vordergrund. 

Im Jahr 2020 sind diese beiläufigen Erinnerungen, denen der Künstler beim Bummeln durch Geschäfte und Straßen oder beim Zeitvertreib mit Freunden und Fremden begegnete, in den Hintergrund getreten. So musste Klobassa ihre Perspektive von äußeren auf innere Kratzer und Flecken verlagern, die sie fand, als sie in der ersten Sperre auf sich selbst zurückgeworfen wurde. 

Nehmen Sie zum Beispiel Reclining Venus (alle Arbeiten, 2020), eines ihrer jüngsten Gemälde, in dem eine bläuliche, gekrümmte Form vor einem hellgrauen Halbkreis dargestellt ist. Es erinnert an einen geknickten birnenförmigen Torso und scheint, als ob das kopf- und gliederlose Gebilde genau im Moment des Fallens aufgefangen wurde. Wie der Titel andeutet, könnte die ovale Form auf die Ruhe eines Körpers vor Erschöpfung anspielen, auf den Moment des Loslassens, wenn die Spannung nachlässt und die Entspannung folgt. Im Gespräch mit Klobassa offenbarte sie mir, dass dieses Gemälde ihren erschöpften Körper in der Isolation zeigt. 

Becoming Sfumato, ein großformatiges Ölgemälde, in dem zwei tiefblaue, ineinander verschlungene Linien von zerbrechlichen Kritzeleien begleitet werden, die an eine glatte Decke oder gewelltes Wasser unter ihnen erinnern, ist ebenfalls dem Sujet der Venus gewidmet. Die abstrakten blauen Formen ähneln gekreuzten Beinen, die oft in historischen Darstellungen der römischen Göttin dargestellt werden. Hier scheinen Klobassas Pinselstriche dynamisch zu sein, sind aber in Wirklichkeit durch eine akribische Mimikry von Vorskizzen auf Papier konstruiert. Dieser Prozess ermöglicht es ihr, mit der Hierarchie der weißen und unberührten Leinwand zu spielen und gleichzeitig die gestische und ihre pathetischen Konnotationen des männlichen und genialen Körpers in der Kunstgeschichte in Frage zu stellen. 

Beim Rückblick auf den Beginn der diesjährigen Pandemie kehrte Klobassa zu diesen Erinnerungen der Introspektion zurück, als die Welt draußen neue und unausgenommene Formen angenommen hatte. Ihre Werke entwickelten sich parallel zu dieser neuen Realität und machten Fragmente ihrer persönlichen Erinnerung sichtbar. Dieser Prozess des Umschreibens und Neubewertens von Erinnerungen und ihren Überbleibseln steht im Zentrum von "Memory Foam", in dem die Künstlerin spielerisch Spuren ihres eigenen Seins mit denen anderer zu faszinierenden neuen Kompositionen verschmilzt. 

Sonja-Maria Borstner